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Neues FamG - Quasi kein Beschwerderecht mehr

Mit dem geplantem neuem Familiengesetz (FamG), das nun zur Beratung in die Fachausschüsse des Bundestags kommt, soll auch das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) neu geregelt werden. Das FGG ist u.a. für das Verfahren im Betreuungsrecht und im Unterbringensrecht (PsychKGs/UBGs) zuständig.

Die derzeitigen Planungen lassen erhebliche Nachteile für Betroffene und deren Angehörige erwarten:

- die unbefristete Beschwerde entfällt

- über Beschwerden kann ein Einzelrichter abschließend entscheiden (§ 68 IV FamG)

- in der Regel entfällt eine Beschwerdeinstanz

- ein erneute Beweisaufnahme durch das Beschwerdegericht kann uU unterbleiben (§ 68 III FamG)

- unklar bleibt, wie sich der Wegfall des Terminus „sofortigen Beschwerde“ auswirken wird

- das Beschwerderecht von Verwandten wird stark eingeschränkt (§§ 303 II; 335 I  FamG)


Beispiele:

- Stellt die im Ausland lebende bislang unbeteiligte Tochter einer Betreuten bei einem Besuch fest, dass der zum Betreuer bestellte Bekannte der Mutter ungeeignet ist, hat sie nach § 303 II FamG kein Beschwerderecht, da sie im ersten Rechtszug nicht beteiligt war. 

- Wurde bei einer 3 Jahre zuvor eingerichteten Betreuung nur die Tochter eines verwitweten Betroffen gehört, da in der Familie Einigkeit herrschte, dass die Tochter sich um den Betroffen kümmern und seine Betreuung übernehmen soll, so kann der Sohn des Betroffenen gegen eine als unnötig eingeschätzte Unterbringung des Betroffenen im Pflegeheim keine Beschwerde einlegen, da er im ersten Rechtszug nicht beteiligt war. 

- Auch gegen einen anfangs zuverlässigen Betreuer, der später unzuverlässig wird, gibt es nach dem neuen FamG kein Beschwerderecht, da das Beschwerderecht nach 4 Wochen erlischt. Nach der geplanten Gesetzeslage muss das Gericht entsprechende Anträge nicht prüfen (vergl. OLG Köln, 23.8.2006 - 16 Wx 69/06; 16 Wx 187/06).
 
- Ist ein Betroffener freiheitsentziehend untergebracht, kann über seine Beschwerde nach dem FamG ein Einzelrichter am Landgericht ggf. nach Aktenlage abschließend entscheiden (§§ 68; 305; 336 FamG).

Jede Freiheitsentziehung ist ein tiefgreifenden Eingriff in die Grundrechte (vergl. BVerfG NJW 2002, 2456; wistra 2006, 59; std. Rspr. des Senats). Für Deutschland bestätigen alle Studien, das Zwangmaßnahmen von Klinik zu Klinik sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Die Juristen Rolf Marschner und Bernd Volckart bemängeln daher in ihrer 2001 veröffentlichten Studie zur diesbezüglichen Rechtslage in Deutschland eine willkürliche Handhabung der Gesetze.[1] Insbesondere durch die Möglichkeit der Einzelrichterentscheidung ist eine weitere Verschlechterung zu erwarten. Die Untersuchung "Werden Zwangseinweisungen durch Erschwerung des Verfahrens seltener?" (Müller/Völker 1988) zeigte, dass sich die Zahl der freiheitsendziehenden Unterbringungen in einer Klinik auf fast die Hälfte verringerte, als zwei Ärzte statt einem Arzt über die Einleitung eines Unterbringungsverfahrens zu entscheiden hatten.[2] In Beschwerdeverfahren ist folglich mit einer Verdopplung unrechtmäßiger Unterbringungen zu rechnen, zumal zudem die Überprüfung der Entscheidung durch das Oberlandesgericht mit dem Abschaffung der Weiteren Beschwerde entfällt.

Problematisch ist zudem der Wegfall der unbefristeten Beschwerde in Betreuungsangelegenheiten. Ein Betreuer wird i.d.R. auf 7 Jahre bestellt. Oft informieren sich Betroffene und/oder ihre Angehörigen erst später über die Rechtslage. Wenn es nicht mehr möglich sein sollte gegen die Bestellung unbefristet Beschwerde einzulegen, hieße dies, dass auch ein Geschäftfähiger, der ggf. erst nach Ablauf der Beschwerdefrist seine Geschäftfähigkeit wiederlangte, trotz Geschäftfähigkeit zwangsweise betreut werden könnte. Das verstößt gegen die Rechtssprechung (BVerfG 22,180 (219f.); BayObLG FamRZ 1995, 510) und gegen § 1896 1a BGB. Nach § 1908d I BGB ist die Betreuung aufzuheben, wenn die Voraussetzungen wegfallen. Nach der geplanten Gesetzeslage muss das Gericht das aber nicht prüfen. Denn ein Antrag an das Gericht ist lediglich als Anregung zu sehen (OLG Köln, 23.8.2006 - 16 Wx 69/06; 16 Wx 187/06). Im neuen FamG müsste also zumindest sicher gestellt werden, dass ein Antrag auf Überprüfung der Betreuungsvoraussetzungen auch zu entscheiden ist.

Weitere Punkte, die verbessert werden könnten:

- Ein Verfahrenspfleger sollten auch für das Beschwerdeverfahren zuständig sein. Die Möglichkeit einer Verschleppung des Verfahrens sollte verhindert werden

Wenn der Verfahrenspfleger eines Demenzkranken Beschwerde einlegt, kann das Beschwerdegericht das Verfahren u.a. nicht nur dadurch verschleppen, dass der Verfahrenspfleger nicht erneut bestellt wird und auch kein neuer Verfahrenspfleger bestellt wird. Es kann zudem einfach nicht entscheiden. Artikel 6 der in den fünfziger Jahren in innerstaatliches Recht transformierten Europäische Menschenrechtskonvention verlang zwar, dass innerhalb einer angemessener Frist entschieden wird. Es entstehen aber allein schon daher Nachteile, dass Betroffene oder deren Bevollmächtigte diese Konvention nicht kennen und weder im jetzigen FGG noch im geplanten FamG eine ähnliche Klausel zu finden ist.

- Das Vertrauensverhältnis zu den behandelnden Ärzten und die Intimsphäre sollten möglichst weitgehend gewahrt belieben

Mit Ausnahme der Sterilisation kann auch der behandelnde Arzt als Gutachter auftreten. Das zerstört das Vertauensverhältnis und gefährdet somit den Therapieerfolg. Zudem sind Verstöße gegen die §§ 138;139 StGB (Schweigepflicht) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) zu erwarten. Gleiches gilt für die Heranziehung anderer Gutachten, etwa des medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Laut § 311 geplantes FamG soll das Gericht anderen Gerichten oder Behörden Erkenntnisse aus dem Verfahren zwecks Strafverfolgung weiterleiten können, soweit nicht schutzwürdige Interessen an dem Ausschluss der Übermittlung überwiegen. Da mit dem Betreuungsverfahren massiv in das grundgesetzlich garantierte informelle Selbstbestimmungsrecht des Betreuten eingegriffen wird, da die Schweigepflicht von gegenüber dem Betreuten schweigepflichtigen Personen, etwa seinem behandelnden Arzt, unterlaufen wird, dürften aber nur eigentlich nur Erkenntnisse weitergeleitet werden, die auch der schweigepflichtige Personenkreis gemäß §§ 138;139 StGB weiterleiten müsste. Also Erkenntnisse die geeignet sind schwerwiegende Straftaten gemäß §138 StGB zu verhindern. Zudem muss sicher gestellt sein, dass Informationen, die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt sind, nicht weitergeleitet werden.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) ist ein absolutes umfassendes Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit. Es wurde 1954 vom Bundesgerichtshof entwickelt und wird auf Art. 2 Abs. 1 (Freie Entfaltung der Persönlichkeit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) gestützt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung des APR in seinem Lebach-Urteil von 1973 herausgestellt.

Drei geschützte Sphären können unterschieden werden:

*Individualsphäre (Schutz des Selbstbestimmungsrechts, beispielsweise Recht auf informationelle Selbstbestimmung (siehe Volkszählungsurteil, Recht auf Resozialisierung, Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung)

*Privatsphäre (Leben im häuslichen Bereich, im Familienkreis, Privatleben. Verletzung beispielsweise bei unverlangter E-Mail-Zusendung, Tonbandaufnahmen ohne Zustimmung, verfälschte Darstellung der Lebensweise in den Medien, Verwendung von Name oder Bild für die Werbung, diffamierende Äußerungen)

*Intimsphäre (Innere Gedanken- und Gefühlswelt, Sexualbereich. Verletzung beispielsweise bei Veröffentlichung von Privatbriefen oder Tagebüchern).

Greift eine Maßnahme in die Intimsphäre oder in die engste Privatsphäre ein, wird ein letztlich unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung betroffen (vgl. BVerfGE 80, 367, 373). Die Intimsphäre ist dem staatlichen Zugriff verschlossen. Eine Abwägung nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet nicht statt. Der Gesetzesvorbehalt gem. Art. 2 Abs. 2 GG oder die sogenannte Schranken-Schranken gelten wegen der engen Verknüpfung mit Art. 1 GG nicht. Dies trifft auch für den Kernbereich der Ehre zu (vgl. BVerfGE 75, 369, 380).

Stand: 12.10.2007

Hintergrund:

- Unerklärlich starke Zunahme und regionale Unterschiede in der Zwangseinweisungspraxis

- Weitere Informationen zum Betreuungsrecht 

Externer Link:

- Bundestag: Entwurf des FamG (Stand 10/2007 - PDF 3256 kb)


 Fußnoten:

 

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